»Tagesseminar zu Goethes Faust: „Ist Faust heute noch aktuell?"«
16. November 2024 - 10:30 Uhr
Evangelisches Kirchenforum Stadtmitte an der Parochialkirche, Klosterstr. 66, 10179 Berlin
Referent: Dr. med. Angela Rossée und Dr. Alfred Messmann
Programm:
Dr. Alfred Messmann Begrüßung und Einführung 10:30h – 10:45h
TEIL I: Dr. med. Angela Rossée zum Thema:
„Nun sag, wie hältst du´s mit der Religion?“ Szenen aus J.W. v. Goethes Fausttragödie – Fragen zu Spiritualität und Religion im Sinne C.G. Jungs
Der Vortrag behandelt das Thema in drei Teilabschnitten, die jeweils 1/2 Stunde Vortrag und 1/2 Stunde Diskussion beinhalten.
1. Teilabschnitt und Diskussion 10:45 h – 11:45 h
Kaffeepause
2. Teilabschnitt und Diskussion 12: 00 h – 13:00 h
Mittagspause
3. Teilabschnitt und Diskussion 14:00 h – 15:00 h
Kaffeepause
Die Referentin schreibt zu Teil 1:
Die Faust Tragödie – ein Weltdrama
Goethe und auch Jung sind durch eigene Erfahrungen seit der Kindheit mit der Gottesfrage befasst. Schon in jungen Jahren verdichtet J.W. v. Goethe im Faustdrama die Frage um die lichte und dunkle Seite Gottes. Im Prolog im Himmel nimmt er das Hiob – Motiv aus dem Alten Testament auf. „Der Herr“ überlässt Faust, seinen „treuen Diener“, dem Mephistopheles. Jungs Interesse am Faustthema reicht bis zwei Jahre vor seinem Tode, als er eine Inschrift an seinen Turm in Bollingen hinterlässt, die sich auf Fausts Schuld bezieht.
Ist Faust heute noch aktuell? Goethe formt in der Gestalt des Faust einen Menschen, der den alten Glauben, die christlichen Werte, ja auch Liebe und das sorgenvolle Menschsein abzustreifen sucht. Vom barmherzigen Gott, der während der Pestzeit Gute und Böse gleichermaßen hinwegrafft, wendet er sich ab. Getrieben strebt der trockene Gelehrte nach sexuellem Genuss, nach Macht und v.a. nach Wissen von dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Verzweifelt und dem Tode nahe, geht er schließlich den Pakt mit Mephisto ein.
Wo ist das Faustische noch heute in uns wirksam? Der Mangel an Ruhe und Bezogenheit macht sich kulturell als Zeitgeist bemerkbar und individuell in den Beziehungen und im Beruf. Dafür bringe ich Beispiele von Träumen und Bildern aus der Praxis. Können wir der Getriebenheit, dem Machtstreben und der Zerstörung im Kollektiv durch unsere individuelle Entwicklung standhalten?
Jungs Werk: Was setzt Jung dem Faustischen Wesen entgegen? Sein Werk befasst sich u.a. mit der religiösen Frage, mit der Bewusstwerdung des Schattens und des Bösen.
Schöpferische Impulse aus Traum und Imagination ermöglichen hoffnungsvolle Entwicklungen im konkreten Leben. Goethes und auch Jungs Weltbild sind von Metamorphose, von der Möglichkeit zur Wandlung zu einer größeren Ganzheit bestimmt, die Faust in Goethes Innenschau erst nach dem Tode durchläuft.
Die Sehnsucht nach dem Weiblichen wird in Gretchens enger Bindung an die Madonna
deutlich, die wir heute individuell in verschiedenen Gestalten des Überpersönlich –
Weiblichen erleben. Vorchristliche naturhafte Aspekte erscheinen in Hexenküche und
Walpurgisnacht. J.W. v. Goethe spannt einen weiten Bogen vom Prolog im Himmel zur
Schlussszene des Dramas. Darin zeigt sich – anders als in der christlichen Dogmatik vom
strafenden Gott – ein Geschehen von Wandlung, von Gnade und Liebe und schließlich von mystischer Vereinigung mit der Göttin. Die Szene wird u.a. von Robert Schumann und Gustav Mahler in Kompositionen umgesetzt. Sie könnte zu eigenen Phantasien über ein Fortleben nach dem Tode anregen.
Eingrenzung des Themas: Ich nehme nur einzelne Szenen aus Faust I und die letzte Szene von Faust II auf. Die Faust – Filme mit Gustav Gründgens oder Bruno Ganz ergrei-fen uns durch die Intensität der Dichtung.
Teil II. Dr. Alfred Messmann zum Thema:
Faust III: „Wir leben im faustischen Pakt“. Stimmen aus Wissenschaft und Kunst zur Aktualisierung von Goethes Epochenwerk
Vortrag: 15:30 h – 16:50 h
Diskussion: 16:50 h – 17:30 h
Zu Teil II schreibt der Referent:
Mit Mephisto, dem Fürst dieser Welt, deckt Goethe das Betriebsgeheimnis der Moderne auf. Goethe zeigt uns, wie Faust, sein „Prometheus“ der Moderne, ein Strebender zu den höchsten Idealen der Menschheit, in den Bann der Hybris einer gottgleichen Welt- und Naturbemächtigung geschlagen und zu Mephistos Organ der Zerstörung wird: „Auf Vernichtung läufts hinaus“. Goethes Vision, ausgesprochen von Mephisto, ist zum Programm der Moderne geworden.
Dass sich Europas beginnende Erfolgsgeschichte zugleich in eine Globalgeschichte fortschreitender Zerstörung entwickelt, diese Sicht auf die Geschichte teilen viele Stimmen aus Wissenschaft und Kunst. Ihr Votum: Man müsse „Faust III“ zu schreiben beginnen, um deutlich werden zu lassen, dass Goethes Vision zu Zeiten des Frühkapitalismus nunmehr in unserer Zeit der digitalen Transformation im Kontext des Anthropozäns allumfassende Wirklichkeit geworden ist. Ist Rettung denkbar aus dieser Dystopie? – wird diese Frage in den neuen Visionen von „Faust III“ auch gesehen?
Für die Mittgaspause ist das Mitbringen eines Imbisses empfehlenswert. Getränke übernimmt die Jung-Gesellschaft
Zu den Referenten:
Dr. med. Angela Rossée schreibt: Nach langjähriger Tätigkeit als Ärztin in der Kinderheilkunde, in der inneren – und der Notfallmedizin in Berlin, studierte ich am C.G. Jung – Institut Zürich und schloss 1994 mit dem Diplom ab. Titel der Diplomarbeit: „Ist Gott tot? Über den Wandel im Gottesbild“. In dieser Zeit arbeitete ich für ein Jahr als Ärztin in der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli/Zürich.
Seit 1994 führe ich meine Praxis in Berlin als Fachärztin für Psychosomatische Medizin –
Psychoanalyse für Erwachsene, bis 2018 als Kassenärztin.
Meine schöpferischen Arbeiten und Vorträge in der Schweiz und in Deutschland beziehen
sich auf die altägyptische, die alchemistische und auf christliche Motive, wie sie der Mensch heute – in gewandelter Form – erlebt.
Im Februar 2024 hielt ich einen Vortrag in der C.G. Jung – Gesellschaft Berlin zum Thema
„Archetypische Bilder des Weiblichen“ im Rahmen des Seminars von Dr. Alfred Messmann zum Roten Buch.
Dr. Alfred Messmann
Studium der Erziehungswissenschaft. Ausgebildet in Kommunikations – Psychologie und der Prozessarbeit nach A. Mindell (in Fortsetzung der Psychologie C. G. Jungs). Ehemaliger Dozent an der HDK Berlin. Seit 1995 tätig als selbständiger Coach und psychologischer Begleiter für Tiefenprozesse, Autor zahlreicher Aufsätze zu Psychologie und Kunst, ist im Vorstand der C. G. Jung Gesellschaft Berlin und Leiter der Forschungsreihe zum „Roten Buch“.
Teilnahmegebühr 12/10/8 € (Gäste/Mitglieder/Erwerbslose und Studenten)
Ort: Evangelisches Kirchenforum Stadtmitte an der Parochialkirche, Klosterstr. 66, 10179 Berlin