Zusammen mit vielen früheren Patienten und Kollegen trauern wir um unser Ehrenmitglied Frau Dr. Hildemarie Streich, die am 12. April verstorben ist.
Frau Dr. Streich wirkte über Jahrzehnte in Berlin als Jungianische Therapeutin und Analytikerin. Viele Kolleginnen und Kollegen, die in Berlin ihre analytische Ausbildung gemacht haben, waren daneben auch Klienten von Frau Dr. Streich.
Frau Streich verband ihr psychoanalytisches Wissen und Können mit einer tief verwurzelten christlichen Gläubigkeit.
Sie stammte aus einem christlichen Elternhaus, das sich in der Nazizeit in engem Kontakt zum Widerstand befand. Ihr Vater Dr. phil. Alfred Peter war eines der ersten Mitglieder des Versöhnungsbundes, einer überkonfessionellen Vereinigung für Völkerfreundschaft, die während des ersten Weltkrieges entstanden war. Einer der engsten Freunde der Familie war Hermann Stöhr, der wegen seiner Verweigerung des Fahneneides auf Adolf Hitler 1940 in Plötzensee hingerichtet wurde. Der Begründer des Versöhnungsbundes Prof. Siegmund-Schulze war Taufpate von Hildemarie. Eng befreundet war die Familie auch mit dem Pfarrer der Schwedischen Gemeinde Birger Forell und mit Pfarrer Harald Poelchau, der dem Kreisauer Kreis zugehörte, jedoch die Verfolgungen überlebte. Wegen der Opposition zur Diktatur hatte die Familie größte Probleme. Besonders in der Zeit um 1940 gab es viele Haussuchungen der GeStaPo .Beide Eltern verstarben verarmt kurz nach Kriegsende.
Frau Streich engagierte sich noch als Schülerin in einer psychiatrischen Klinik, wo sie für die internierten Patienten musizierte, bis die Klinik durch die Nationalsozialisten aufgelöst und die Patienten deportiert wurden. 1942 erhielt sie ein Begabtenstipendium und konnte studieren. Sie wurde nach dem Krieg Musiktherapeutin und Dozentin in Berlin, sie schrieb ein Lehrbuch des Flötenspiels, dann eröffnete sie eine Praxis in Freiburg. 1954 erhielt sie ein Stipendium für einen Musik-Kongress und Studien in London. 1956 ging sie nach ihrer Heirat mit dem Ingenieur Dr. Rudolf Streich nach Berlin. Dort begann sie die analytisch-therapeutische Ausbildung. Ihre Lehranalytikerin wurde Dr. Käthe Bügler, eine Schülerin C. G. Jungs, die als sog Halbjüdin die Verfolgungen in Berlin verborgen überlebt hatte.
Frau Streich galt früh als überaus begabte Analytikerin mit großer Intuition. In Berlin gab es damals noch keine geregelte Jungianische Ausbildung. So setzte sie ihre Studien fort am Züricher C. G. Jung-Institut bei Marie – Luise von Franz und hielt mehrmals Vorträge bei den Eranos – Tagungen in Ascona. Ihr Hauptinteressengebiet war die Verbindung von Musik und Jungscher Psychoanalyse. Sie veröffentlichte wegweisende Studien zu „Musik im Traum“, zu alchemistischer Musik und der Psychologischen Bedeutung der Tonarten. Die Hauskonzerte, die sie zusammen mit ihrem Ehemann Rudolf veranstaltete, waren eine geliebte Institution.
Besonders enge freundschaftliche und fachliche Kontakte pflegte Frau Streich zu James und Hilde Kirsch, die 1933 aus Berlin emigriert waren, und mit dem Basler Biologen Adolf Portmann, der die Leitung der Eranos – Tagungen übernommen hatte. Sie war in der internationalen Jungianischen Welt anerkannt und geschätzt. 2010 wurde Frau Dr. Streich Ehrenmitglied der neu gegründeten Berliner C. G. Jung-Gesellschaft.
Wir verlieren mit ihr eine Kollegin und Freundin und eine einzigartige, mutige Frau, die wir nicht vergessen werden.
Die Trauerfeier mit anschließender Beisetzung findet am Freitag, den 27. April 2012, um 10:00 Uhr auf dem Städtischen Friedhof Heerstraße, Trakehner Alle 1, statt.
Für die Berliner C. G. Jung-Gesellschaft
Dr. Jörg Rasche