Nachweis der Bewusstseins-Evolution.
Für die Tiefenpsychologie besonders ertragreich war die von Konrad Lorenz begründete evolutionäre biologische Kognitionsforschung. Indem diese untersuchte, wie die kognitiven Fähigkeiten mehrzelliger Lebewesen im Verlauf der Evolution Schritt um Schritt komplexer geworden sind, können wir heute verfolgen, wie das, was wir das menschliche Unbewusste nennen, phylogenetisch herangewachsen ist.
Damit sind auch die Voraussetzungen geschaffen worden für eine empirisch fundierte Begriffsbestimmung von Bewusstsein. Um diese zu finden, musste nur noch gefragt werden, welche kognitive Fähigkeit beim Evolutionsschritt zum Menschen zu denjenigen der am höchsten entwickelten Primaten hinzugekommen sei. Die Antwort auf diese Frage ergab sich dann aus den Spiegelversuchen. Es war die Fähigkeit, zwischen Ich und Nicht-Ich – zwischen Subjekt und Objekt – zu unterscheiden. Tiere können das nicht.
Es ist allerdings eine Ironie der Wissenschaftsgeschichte der Psychologie, dass mehr als ein Jahrhundert lang Bewusstseinspsychologie betrieben worden ist, ohne dass eine empirisch-wissenschaftlich fundierte Begriffsbestimmung von Bewusstsein vorhanden war, ja ohne dass überhaupt nach einer solchen gefragt wurde Während der ganzen Zeit stützte man sich einfach auf spekulative Annahmen
Für Tiefenpsychologen war eine empirische, im heutigen Wissen um die kognitiven Fähigkeiten von Lebewesen verankerte Definition von Bewusstsein von besonderer Bedeutung, weil sie die Möglichkeit erschloss, die Evolution des Bewussteins nachzuweisen. Dieser Nachweis war deshalb unentbehrlich, weil man nur aufgrund der Kenntnis der Bewusstseinsevolution erkennen konnte, welche Konsequenzen die Entdeckung und Erforschung des menschlichen Unbewussten für die bisherigen Arten des Weltverstehens – für die archaisch-mythische wie für die positivistisch-materialistische – hatte.
Entwürfe einer kulturellen Evolution, wie man es früher nannte, lagen zwar schon seit Beginn des 20. Jh. vor. Erarbeitet waren sie von sehr gelehrten Kulturwissenschaftlern wie z. B. Herbert Spencer, Edward Taylor und James George Frazer. Indessen vermochten ihre Entwürfe der Kritik derer, denen sie gegen den Strich gingen – vor allem der Theologen – nicht standzuhalten. Sie konnten sozusagen vom Tisch geschwatzt werden, weil ihr methodischer Ansatz ungenügend war. Die Autoren hatten zwar eine grosse Menge kulturhistorischen Materials vorgelegt, doch hatten sie dieses einfach arbiträr in Stadien eingeteilt: z. B. ein magisches, mythisches, metaphysisches usw.
Nun ist aber die Evolution eines Systems – sei dieses ein atomares, ein molekulares, ein lebendiges oder kognitives – erst dann erbracht, wenn nachgewiesen ist, dass dieses über lange Zeit hinweg fortlaufend an Komplexität zugenommen hat. Um aber diesen Nachweis zu erbringen, muss man die konstituierenden Eigenschaften des betreffenden Systems kennen. Im Falle des Bewusstseins war dies aber erst in den 70er Jahren möglich, also gut ein Jahrzehnt nach Jungs Tod. Erst dann konnte die oben erwähnte Definition gefunden werden. Sie konnte aber nur deshalb gefunden werden, weil C.G. Jung seinerzeit die Psychologie in der Biologie verankert hatte.
Um – ausgehend von dieser Definition – eine Komplexitätszunahme und damit eine Evolution des Bewusstseins nachzuweisen, war von der Tatsache auszugehen, dass es der Erwerb von Bewusstsein war, der den Menschen instand setzte, Kultur – genau gesagt objektunabhängige Kultur – zu schaffen. So konnte denn aus dem Grad von Unterscheidungsvermögen, der in einer Kultur zum Ausdruck kam, auf die Entwicklungshöhe des Bewusstseins jener Population geschlossen werden, welche die betreffende Kultur geschaffen hatte.